Epigenetisches Alter
Die epigenetische Uhr erfasst molekularbiologische Veränderungen an den Genen unserer Körperzellen und berechnet daraus, wie sehr ein Mensch bereits gealtert ist. Dieser neue Ansatz ist exakter als alle herkömmlichen Methoden zur Messung des biologischen Alters. Seit einiger Zeit sind erste Selbsttests auf dem Markt.
Wie überprüfe ich die Genauigkeit der Messung?
Es gibt einen einfachen Ansatz, um zu prüfen, wie gut eine Methode zur Messung des biologischen Alters geeignet ist: Man erfasst nach dieser Methode das biologische Alter sehr vieler Menschen und misst, wie weit es vom kalendarischen Alter abweicht. Der Mittelwert aller Abweichungen muss dann im Idealfall Null sein, weil ja sehr viele Menschen zugleich in die Rechnung eingingen und das biologische Alter eines Durchschnittsmenschen per Definition mit seinem kalendarischen Alter übereinstimmt.
Außerdem sollten das kalendarische und das biologische Alter bei den meisten Menschen nicht allzu stark voneinander abweichen. Sehr viele biologisch extrem zu alte oder zu junge Menschen sind bei einer guten Messmethode nicht zu erwarten. Die Zahl der Kniebeugen ist beispielsweise ein vergleichsweise schlechtes Maß, denn man kann insgesamt schon ziemlich alt und krank sein, aber trotzdem noch gezielt daraufhin trainieren, sehr viele Kniebeugen zu schaffen.
Welches Verfahren ist besonders genau?
Die Länge der Telemore galt bis vor einigen Jahren als beste Methode zur Bestimmung des biologischen Alters. Sie ist indes nur auf ungefähr plus/minus zehn Jahre genau. Seit 2013 gibt es eine viel bessere biologische Alters-Uhr: Der Deutsch-Amerikaner Steve Horvath entdeckte einen Algorithmus, mit dessen Hilfe man aus bestimmten so genannten epigenetischen Markern in Speichel- oder Blutzellen das biologische Alter eines Menschen auf plus/minus 3,6 Jahre genau berechnen konnte.
Über Epigenetik und DNA-Methylierung
Epigenetische Marker baut die Zelle an oder neben ihre Gene an und reguliert damit, welche ihrer Gene sie benutzen kann und welche nicht. Horvath entdeckte einige solcher nebengenetischen Schalter, die sich systematisch mit dem Älterwerden verändern. Sein Test misst, welche dieser Schalter an- oder ausgeschaltet sind und ist damit die bislang genaueste Art, das biologische Alter zu erfassen.
Inzwischen gibt es solche epigenetische Uhren auch für viele Tierarten und für Menschen in unterschiedlichen Kulturkreisen. Steve Horvaths Uhr war allerdings die erste und ist deshalb bis heute die bekannteste. Sie wird auch in wissenschaftlichen Studien am häufigsten verwendet. An ihrer Präzision und Zuverlässigkeit bestehen nur noch geringe Zweifel.
Weil das biologische Alter bei gesunden Menschen natürlich immer auch in der Nähe des tatsächlichen Alters liegt, wird die Horvath‘sche Uhr inzwischen sogar zur Überprüfung des kalendarischen Alters eingesetzt, etwa wenn Flüchtlinge angeben, noch minderjährig zu sein, sie aber deutlich älter aussehen. Dann kann die epigenetische Uhr Hinweise geben, ob die Angaben korrekt sind.
Wie gut sind die Selbsttest?
Seit dem Jahr 2018 gibt es in Deutschland einen ersten und seit 2021 einen weiteren Selbsttest zur Messung des biologischen Alters mit Hilfe der epigenetischen Uhr: Den Cerascreen Genetic Age Test und den EpiAge Test. Beide nutzen die gleiche Methode wie die Horvath‘sche Uhr, werten aber andere epigenetische Schalter aus. Angeblich sind sie sogar etwas genauer als ihr Vorbild. Sie sollen das biologische Alter auf plus/minus 2,5 beziehungsweise 2,8 Jahre genau erfassen. Diese Angaben lassen sich indes nicht überprüfen, da die zugrunde liegenden Daten nicht veröffentlicht wurden.
Ein klarer Nachteil dieser Tests für zu Hause ist ihr hoher Preis. Beide kosten knapp 200 Euro. Auch die Präsentation der Resultate ist mangelhaft: Beide Firmen suggerieren, ihr Ergebnis sei aussagekräftiger als es tatsächlich ist. Cerascreen verschweigt die Testungenauigkeit, EpiAge gibt diese zwar an, berechnet das biologische Alter aber trotzdem auf zwei Stellen hinter dem Komma genau, was angesichts der Ungenauigkeit keinen Sinn ergibt.
Fazit:
Wenn Sie einen der Selbsttests auf das epigenetische Alter machen, erfahren sie nicht viel mehr als eben dieses biologische Alter. Immerhin wissen Sie dann, ob Sie in Sachen gesunder Lebensstil auf einem guten Weg sind oder sich vielleicht noch etwas mehr anstrengen sollten. Wie ein solcher perfekter gesunder Lebensstil für Sie als Individuum aber genau aussieht, das kann Ihnen der Test nicht verraten. Das kann für manche auch demotivierend sein. Deshalb sollten Sie sich vor der Entscheidung für einen solchen Test unbedingt die Frage stellen, ob es Ihnen gelingen wird, mit einem negativen Testergebnis – dass Sie biologisch deutlich älter sind als kalendarisch – positiv umzugehen. Wenn nicht, würde ich die Finger davon lassen.